„Legasthenie und Dyskalkulie – mein Selbstbewusstsein lasse ich mir nicht nehmen.“ – unter diesem Titel fand am 26.10.13 die diesjährige Fachtagung des Kreisverbands Hannover statt. Rund 100 Betroffene, Eltern und Therapeuten folgten der Einladung des Kreisverbands, zu dem auch Mitglieder aus dem Landkreis Schaumburg gehören.
Im ersten Vortrag dieser von 11.00 bis 16.00 Uhr dauernden Tagung sprach Frau Dr. Gisela Schimansky, Kinder- und Jugendpsychiaterin aus Hannover, zum Thema „Lasst uns Ressourcen stärken! – Legasthenie aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht“.
Hieran schlossen sich nach einer kurzen Pause Ausführungen von Frau Prof. Dr. Evelin Witruk, Uni Leipzig, über „Kompensationsleistungen und Talente“ an. Frau Prof. Witruk referierte über ihre wissenschaftlichen Forschungen und deren Ergebnisse im Bereich der Seh- und Hörverarbeitung bei LegasthenikerInnen.
Nach einer einstündigen Mittagspause setzte Frau Anke Bendorf-Schneider, Grundschul- und Beratungslehrerin, den Tag mit ihrem Vortrag „Einmal um die Welt der legasthenen Menschen – legasthene Kinder und ihre Eltern berichten über ihre Niederlagen und Siege“ (Vortrag mit Videoeinspielungen) fort.
Zum Abschluss beantworteten die Referentinnen im Rahmen einer Podiumsdiskussion zahlreiche Fragen.
Für den am Thema Dyskalkulie interessierten Personenkreis stand Herr Harald Schmidt, Dyskalkulie-Therapeut, Lernspiel-Autor MUNGO-Verlag, Dipl.-Mathematiker, Studienrat und Beratungslehrer a. D., Göttingen, mit seinem Fachwissen und einem umfangreichen Informationstisch mit Materialen zur Verfügung.
Dr. Gisela Schimansky,
Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Das Konzept individueller Unterschiede
Es gab einmal eine Zeit, da hatten die Tiere eine Schule. Das Curriculum bestand aus Rennen, Klettern, Fliegen und Schwimmen und alle Tiere wurden in allen Fächern unterrichtet.
Die Ente war gut im Schwimmen; besser sogar als der Lehrer. Im Fliegen war sie durchschnittlich, aber im Rennen war sie ein hoffnungsloser Fall. Da sie in diesem Fach so schlechte Noten hatte, musste sie nachsitzen und den Schwimmunterricht ausfallen lassen um das Rennen zu üben. Das tat sie so lange, bis sie auch im Schwimmen nur noch durchschnittlich war. Durchschnittliche Noten waren aber akzeptabel, darum machte sich keiner Gedanken, außer: der Ente.
Der Adler wurde als Problemschüler angesehen und unnachsichtig und streng gemaßregelt, da er, obwohl er in der Kletterklasse alle anderen schlug, darauf bestand, seine eigene Methode anzuwenden.
Das Kaninchen war anfänglich im Laufen an der Spitze der Klasse, aber es bekam einen Nervenzusammenbruch und musste von der Schule abgehen wegen des vielen Nachhilfeunterrichtes im Schwimmen.
Das Eichhörnchen war Klassenbester im Klettern, aber sein Fluglehrer ließ es seine Flugstunden am Boden beginnen, anstatt vom Baumwipfel herunter. Es bekam Muskelkater durch Überanstrengung bei den Startübungen und immer mehr ‚Dreien‘ im Klettern und ‚Fünfen‘ im Rennen.
Die mit Sinn fürs Praktische begabten Präriehunde gaben ihre Jungen zum Dachs in die Lehre, als die Schulbehörde es ablehnte, Buddeln in das Curriculum aufzunehmen.
Am Ende des Jahres hielt ein anormaler Aal, der gut im Schwimmen und etwas rennen, klettern und fliegen konnte, als Schulbester die Schlussansprache.
Originalquelle unbekannt
Frau Prof. Witruk gab in ihrem Vortrag zahlreiche Informationen und stellte neben aktuellen ForschungsergebnissenTestverfahren und einfache Hilfestellungen vor, die legasthenen Kindern mit Problemen bei der Sehfähigkeit (Überschmierungseffekt nach Breitmeyer) helfen.
Sie ging u. a. auf die primären und die häufig daraus folgenden sekundären Ursachen und Symptome und entsprechende Interventions-, also Eingriffsmöglichkeiten ein.
Frau Prof. Witruk stellte in ihrem Vortrag auch drei eigene Experimente aus dem Jahr 2012 vor, in denen Vorteile von Legasthenikern
bezüglich visuell-räumlicher Fähigkeiten in unterschiedlichen Altersgruppen nachgewiesen wurden.
Studie 1: Arbeitsgedächtnis bei Arabisch, Kantonesisch und Deutsch sprechenden legasthenischen Kindern (Alter: 10 Jahre)
Studie 2: Mögliche und unmögliche Figuren – die Rolle holistischer, visuell-räumlicher Verarbeitung (Alter: 17 Jahre)
Studie 3: Mentale Rotation, mentale Modellbildung, Lebendigkeit von Vorstellungen (Alter: 23 Jahre)
Übersicht zur Präsentation Frau Prof. Witruks:
1 Einführung
2 Mehrebenenmodell von Valtin (modif. Witruk, 1993)
3 Diagnostik, Kompensation und Interventionen auf den vier Ebenen
3.1 Primäre Ursachen
3.2 Sekundäre Ursachen – Teilleistungsschwächen
3.3 Primäre Symptome – Versagen im Lesen und/oder Schreiben
3.4 Diagnostik, Kompensation und Interventionen bezogen auf sekundäre Symptome
4 Diskussion neuer Perspektiven/alternativer Ansätze
Thesenpapier zum Vortrag von Frau Anke Bendorf-Schneider:
1. Die LRSler sind nicht dumm, sondern kreativ. Sie sehen nicht nur einen Lösungsweg.
2. Die LRSler haben keine Probleme mit der Rechtschreibung, sondern mit der Reaktion der Umwelt. Das macht sich besonders in der Schule bemerkbar.
3. Das Lesen und Schreiben zu lernen, ist eines der wesentlichen Lernziele in der Grundschule. Von Beginn der Schullaufbahn an stellt das den LRSler vor große Probleme.
4. Eine Welt mit LRSler sähe anders aus, nicht unbedingt schlechter.
5. „Eine Verhaltensstörung beim Kind ist nicht denkbar ohne eine gleichzeitige Erwartungsstörung des Lehrers.“ steht auf der Internetseite des Pirkheimer Gymnasiums.
Üben durch viel Schreiben hilft selten!
6. Unterstützung heißt, mit ihm seine Rechtschreibung zu verbessern, zusätzlich alternativ geeignete Kompensationen zu entwickeln. Unterstützung heißt, mit ihm zusammen seine Teilleistungsschwäche an zu nehmen.
7. Wichtige Attribute der Kinder und Eltern sind Beharrlichkeit und Willensstärke.
8. Er kann halt nicht schreiben - na und?