„Zukunft, ich komme! - Wir schaffen das!“ - Fachtagung am 11.11.2017
Schon eine halbe Stunde vor Beginn trafen die ersten der letztlich rund 150 interessierten Eltern, Lehrkräfte, Therapeuten und Schüler/innen ein. In ihrer mit ermutigenden Worten versehenen Begrüßung empfahl die Vereinsvorsitzende, Frau Büngel, den anwesenden Eltern:
„Unterstützen Sie die Stärken ihrer Kinder - auf die Schwächen achten andere schon genug.“
Die Veranstaltung eröffnete Frau Susanne Brundiers mit ihrem Vortrag über „bilnos: früh fördern statt spät sitzen bleiben“. Frau Brundiers ist Projektverantwortliche von „bilnos - Bildungs- und Lernberatung im Osnabrücker Land“, einem Projekt in Trägerschaft der Volkshochschule Osnabrücker Land. Im zweiten Vortrag des Tages ging Frau Gertrud Plasse, Schulpsychologin bei der Niedersächsischen Landesschulbehörde, auf das Thema Schulängste ein.
Zu beiden Vorträgen gab es zahlreiche Wortmeldungen und interessierte Nachfragen, die sich bis in die Mittagspause fortsetzten. Außerdem wurde die Zeit zu Fachgesprächen an den Informationstischen und zu intensivem Austausch mit anderen Betroffenen und den vier Referentinnen und Referenten genutzt.
Die beiden Vorträge am Nachmittag durch Herrn Rechtsanwalt Dr. Rudolf Kiesewetter zu „Nachteilsausgleich: Anspruchsvoraussetzungen und Durchsetzung“ und Herrn Friedhelm Espeter über „Von Legasthenie betroffen! Welche Rechte haben Schüler und ihre Eltern?“ führten ebenfalls zu einer Vielzahl von Nachfragen und teils heftigen Reaktionen von Eltern und Lehrkräften, aber auch einer betroffenen Abiturientin.
Die beiden Referenten behandelten in ihren Vorträgen die unbefriedigende Rechtslage (gerichtliche Entscheidungen, LRS-Erlass, Erlass über Bewertung usw.) und wie diese in den Schulen gelebt wird. Die rechtliche Situation kann nicht nur zur Benachteiligung betroffener Schülerinnen und Schüler führen, sondern zusätzlich zu unnötigen Konflikten und damit weiterer Belastung der Betroffenen, ihrer Eltern und ihrer Lehrkräfte, sowie der Beziehung zwischen Betroffenen und Schule.
Lehrkräfte sind wegen unklarer Rechtslage unsicher in der Gewährung von Nachteilsausgleichen und von Notenschutz. Teilweise besteht nicht einmal ein Verständnis für den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen. Hier bedarf es dringend Fortbildung und klarer Regelungen, die Lehrkräften und Schulen Rechtssicherheit gibt.
Die Teilnehmer/innen der Veranstaltung hatten nach der Veranstaltung für einige Wochen Zugang in einen mit Passwort geschützten Bereich der Kreisverbandshomepage mit den dankenswerterweise zur Verfügung gestellten vier Vortragspräsentationen.
Zum Unterschied zwischen Nachteilsausgleich und Notenschutz:
"Entscheidungskriterium dafür, was eine Maßnahme des Nachteilsausgleichs und was Notenschutz ist, ist die Zielsetzung der
Prüfung."
Was ist ein Nachteilsausgleich?
Ein Nachteilsausgleich soll – wie der Name sagt – bestehende Nachteile ausgleichen.
Als banales Beispiel: eine Brille und ein Hörgerät sind Mittel des Nachteilsausgleichs. Um einen bestehenden Nachteil tatsächlich auszugleichen, müssen sie allerdings zur bestehenden Einschränkung passen.
Ein Hörgerät kann einem schwerhörigen Schüler helfen, nicht jedoch einem kurzsichtigen. Ebenso braucht eine schwerhörige Schülerin ein passendes Hörgerät und eine Brille, wenn zusätzlich eine Sehbehinderung besteht.
So kann eine Arbeitszeitverlängerung bei einer Klassenarbeit ein Nachteilsausgleich sein, oft aber kein ausreichender. Häufig können technische Hilfsmittel (z. B. für das Vorlesen lassen des Textes durch elektronische Geräte) Teil eines wirkungsvollen Nachteilsausgleichs sein. Dies wird noch viel zu wenig genutzt.
Informationen zum Nachteilsausgleich finden Sie auf der Seite des Nds. Landesverbands: http://www.legasthenie-verband.de/schule-erlass/nachteilsausgleich.html
Informationen zur Notengebung unter: http://www.legasthenie-verband.de/schule-erlass/zensuregebung.html
Einige Merksätze zum Nachteilsausgleich:
"Ein Nachteilsausgleich, der nicht wirkt, ist kein Nachteilsausgleich."
"Nachteilsausgleich - damit Schüler/innen überhaupt in den Wettstreit mit anderen treten können."
"Nachteilsausgleich IST zu gewähren = Grundrecht.“
"Maßnahmen der Schule sind nicht von einem Gutachten abhängig. Die Schule darf kein Gutachten verlangen und muss von sich aus tätig werden."
Zum Notenschutz:
"Niemand darf wegen Leistungen im Rechtschreiben innerhalb der Schullaufbahn (das gilt nicht beim Abschluss) sitzenbleiben."
Falls eine Schule Fördermaßnahmen davon abhängig macht, dass zusätzlich außerschulische Fördermaßnahmen stattfinden:
"Der Begriff außerschulische Förderung ist nicht normiert. Auch Förderung innerhalb der Familie ist außerschulische Förderung."
Einige Äußerungen aus der Veranstaltung:
1. Frühe Förderung der Kinder mit Legasthenie/Dyskalkulie (ca. 5 % aller Schüler) ist sehr wichtig. Fortbildung der Lehrer ebenfalls (am besten bereits im Studium). (z. B. in Art von Bilnos)
2. Viele Eltern sind unzufrieden mit der aktuellen Situation der Förderung bzw. des Umgangs mit Nachteilsausgleichen. Eltern sehen hier Handlungsbedarf in der Politik und von Seiten der Landesschulbehörde.
(In Bayern und NRW gibt es z.B. die Möglichkeit des Notenschutzes - Nichtbewertung der Rechtschreibung - auch in der Oberstufe)
3. Aufgrund der Fürsorgepflicht der Schule und des Benachteiligungsverbots haben behinderte Kinder (dazu zählt auch die Legasthenie) einen Anspruch auf Nachteilsausgleich, ohne dass die Eltern einen Antrag stellen müssen.
Die Umsetzung funktioniert aber nicht oder nur schlecht.
4. Der Umfang des gewährten Nachteilsausgleichs ist meist nicht ausreichend, um behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen.
5. "Deutschland ist im Gegensatz zu Schweden, wo fast das ganze Königshaus von Legasthenie betroffen ist, noch ein „Entwicklungsland“, und Lesen und Schreiben werden immer noch als Form von Intelligenz gesehen."
6. "Um einigermaßen durch das Schulsystem zu kommen brauchen legasthene Kinder hier Eltern mit Geld, Intelligenz und Hartnäckigkeit."
Aus der Ankündigung unserer Veranstaltung:
Susanne Brundiers - bilnos: früh fördern statt spät sitzen bleiben
Qualifizierte Förderung von Kindern mit Schwierigkeiten beim Lernen im Kontext Grundschule
Wie kann Kindern, die beim Erlernen der Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen große Schwierigkeiten haben, in der Schule und darüber hinaus geholfen werden? Dieser Fragestellung geht seit 2010 das Projekt bilnos nach und bietet den Schulen, Eltern und Kindern Unterstützungsmöglichkeiten an.
bilnos steht für Bildungs- und Lernberatung im Osnabrücker Land und ist ein Projekt in Trägerschaft der Volkshochschule Osnabrücker Land. Nach dem Motto „früh fördern statt sitzen bleiben“ verfolgt das Projekt die Zielsetzungen
. Lernblockaden verhindern und Kindern die Freude am Lernen erhalten
. Negative Bildungskarrieren vorbeugen
. Langfristig erfolgreiche Bildungsabschlüsse erzielen
Die drei Säulen Lehrerfortbildungen, außerschulische Individualförderung und Schulberatung hinsichtlich Förderkonzepte bilden dabei die Grundfesten des Projekts. Die theoretische Basis für das Konzept besteht in dem ganzheitlich systemisch ressourcenorientierten Modell des Kreisel e.V. in Hamburg.
Durch die konsequente Verknüpfung von Lehrerfortbildungen und Individualförderung wird Nachhaltigkeit erreicht. Die Wirksamkeit von bilnos ist wissenschaftlich überprüft worden. Die Finanzierung über die Stiftung Stahlwerk Georgsmarienhütte, die Bohnenkamp Stiftung und die Sparkassenstiftung sowie über Eigenbeiträge für die Projektlaufzeit abgesichert. Mittlerweile sind ca. 40% der Grundschulen im Landkreis Osnabrück in das Projekt involviert.
Gertrud Plasse - Schulängste
Eine sorgenfreie und fröhliche Kindheit wünschen wir uns alle für unsere Kinder.
Einige Schülerinnen und Schüler werden jedoch von Ängsten geplagt, sei es vor der Schule, vor Mitschülern oder Klassenarbeiten. Teilweise können diese bis zur Schulvermeidung führen.
Dieser Vortrag stellt einige Beispiele für Ängste innerhalb und außerhalb von Schule dar, erklärt mögliche Zusammenhänge und Ursachen sowie die Möglichkeiten von Elternhaus, Schule und Schulpsychologie, diesen entgegen zu wirken.
Gertrud Plasse (Jg. 71) ist seit 1999 Schulpsychologin bei der Niedersächsischen Landesschulbehörde. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Beratung von Schülerinnen und Schülern, schulvermeidendes Verhalten sowie der Fortbildung von Klassenlehrkräften zum Thema Klassenklima (KIK).
Dr. Rudolf Kiesewetter - Nachteilsausgleich: Anspruchsvoraussetzungen und Durchsetzung
In dem Vortrag werden die rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für den schulischen Nachteilsausgleich für Legasthenikern und Dyskalkuliker dargestellt. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf den Anspruch auf Nachteilsausgleich im Rahmen der Oberstufe und den Abschlussprüfungen gerichtet.
Gleichzeitig folgt eine Abgrenzung von Nachteilsausgleich zum Notenschutz. Am Rand wird auf etwaige Hinweise im Abschlusszeugnis auf den bewilligten Nachteilsausgleich eingegangen. Zur Durchsetzung des Anspruchs auf Nachteilsausgleich wird das schulische Antragsverfahren und - bei Ablehnung des Antrags durch die Schule - auf das gerichtliche Verfahren eingegangen.
Friedhelm Espeter - Von Legasthenie betroffen! Welche Rechte haben Schüler und ihre Eltern?
„Alle Menschen haben ein gleiches Recht auf Bildung!“ Dieser Satz, dem in einer demokratischen Gesellschaft niemand widerspricht, steht im Widerspruch zu vielen Erfahrungen von Menschen, die von Legasthenie betroffen sind. Vergleicht man die Rechte der Betroffenen in Niedersachsen mit denen in Bayern, so werden die Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen erheblich benachteiligt.
Hinzu kommt, dass nicht einmal die Möglichkeiten und Freiheiten, die die Schulen den Betroffenen gewähren sollten, angewandt werden. Die klassischen Konfliktfelder sind Nachteilsausgleich und Notenschutz. Der Workshop gibt einen Überblick zum rechtlichen Anspruch von Betroffenen bzgl. Nachteilsausgleich und über die aktuelle Erlasslage in Niedersachsen, seine Bedeutung für den Schulalltag, die Betroffenen und deren Eltern.